In altem Glanz

Umbau Farelhaus Biel – 0815 Architekten

Bei Sanierungen entstehen heute vermehrt bildhafte Kopien der Gebäude durch die Reproduktion der Bauteile. An der Seite der Architekten kämpft auch der Denkmalschutz mit diesem Trend. Das Farelhaus in Biel schlägt hier ein neues Kapitel auf.

Hannes Homberger

Ein knapp 60-jähriges Kirchgemeindehaus mit einem vielfältigen Raumangebot ist in die Jahre gekommen und kann nicht mehr richtig genutzt werden. Die Gemeinde entschliesst sich daher den Bau zu verkaufen. Doch wer kauft ein Gebäude, das beinahe vollständig saniert werden muss, nicht mehr den heutigen Standards entspricht und für das danach noch eine Mieterschaft gefunden werden muss? Die Geschichte hinter dem Umbau des Farelhauses in Biel, das Max Schlup im Jahre 1951 entworfen hatte, ist alles andere als Courant normal.

Entwerfender und Bestimmender in einer Person 

Die Antwort auf die oben gestellten Fragen gab sich ein Architektur-Team gleich selber: Man kaufte das Haus, renovierte es selbst und ist jetzt auch Vermieter. Die Führung bei dieser Initiative hatte Ivo Thalmann von 0815-Architekten. Mit dabei waren sein Büropartner Oliver Schmid, Stephan Buchhofer von Bart & Buchhofer Architekten, Reto Mosimann von Spaceshop Architekten und Simon Schudel von sim Architekten. Dass die Architekten gleich die eigenen Bauherren waren, ermöglichte ihnen mehr Flexibilität und Spielraum während des ganzen Bauprozesses.

Nutzung als Ausgangspunkt 

Die Nutzung und die Bausubstanz gingen bei diesem Umbau Hand in Hand. Es war strategisch wichtig, die richtigen Nutzungen zu finden, um die Bausubstanz zu erhalten. Nur durch ein schrittweises Vorgehen war es möglich, dass das Gesamtgebäude nicht in ein Baugesuchsverfahren musste. Ansonsten wäre unter anderem die Ertüchtigung des offenen Treppenhauses mit den Holzeinbauten zur unlösbaren Herausforderung geworden. 

Das Ziel war es, die Mietzinse der Wohnungen und Büros auf einem bezahlbaren Niveau zu halten um einen Leerstand nach der Sanierung zu verhindern. Mit den durchdachten Eingriffe und dem Erhalt der Substanz im Umbau konnte dies erreicht werden.

Ehrlicher Baudenkmalschutz 

Bei Sanierungen stellt sich oft die Frage, inwiefern die vorhandenen Bauteile repariert und wiederverwendet werden können. In der heutigen Zeit ist es günstiger maschinell neue Bauteile zu produzieren, statt die alten instand zusetzen und wiederzuverwenden. Das hat damit zu tun, dass heute die Arbeit des einzelnen Arbeiters teurer ist als das Material. Somit wird eine Sanierung, bei der die Bauteile mit einem hohen Arbeitsaufwand gereinigt und repariert werden müssen, viel teurer als bei einer Reproduktion der Bauteile.Beim Farelhaus in Biel entschied man sich grösstenteils gegen eine Reproduktion der Bauteile. Bei einer gründlichen Untersuchung wurde klar, dass ein grosser Teil der Bausubstanz aufgrund des guten Zustands erhalten bleiben kann. Dies war der Anlass, um die Materialien und Elemente zu reinigen, zu reparieren und wiederzuverwenden. Beispielsweise wurden die Fenster der Hauptfassade mit ihren originalen Beschlägen lediglich neu gerichtet und abgedichtet. Weiter wurden die Brüstungen zusätzlich gedämmt und die Platten neu gestrichen. Die Obergeschosse, in denen sich Wohnungen und das ursprüngliche Mädchenheim befanden, wurden teilweise auf den originalen Zustand zurückgebaut. Die Sichtbackstein-Mauern wurden vom Putz befreit und die Holzoberflächen abgelaugt. Die Wohnungen erhielten einen neuen Ausbau und die Räume des Mädchenheims werden als Büros vermietet.

Wohnung im OG mit neu eingebauter Küche vor der erhaltenen Sichtbacksteinmauer
(Quelle: Fotografie des Verfassers, 03.04.17)

Der Umbau am Farelhaus zeugt von hohem Respekt gegenüber dem Baumaterial, er ist sorgfältig durchdacht. Es wurden ökologische Lösungen im Zusammenhang mit dem Erhalt vom Baumaterial gesucht und gefunden: Durch den weitgehenden Verzicht auf neue Bauteile, fiel auch keine weitere graue Energie an.

Man könnte die Vorgehensweise auch «ehrlicher Baudenkmalschutz» nennen. Er bedeutet für mich Respekt vor dem Baumaterial und der Verzicht auf eine bildhafte Kopie. Denn das Material beinhaltet die Geschichte eines Gebäudes, und diese soll weitererzählt werden. Mit der Vernichtung des Materials wird auch das Gebäude ausgelöscht. Bei einem solchen Vorgehen kommt man nicht drumherum, heutige Standards betreffend Energie und Komfort in Frage zu stellen. Eine Fassade, die komplett ersetzt wird, kann prozentual betrachtet nur wenig mehr Heizenergie einsparen, ist aber enorm teurer als beim Ersetzen von Dichtungen und beim Anbringen einer zusätzlichen Dämmung.

Nebst der erfolgreichen Sanierung sind auch die verhältnismässig tiefen Mietzinsen ein grosser Pluspunkt. Da bei Neubauten oftmals teure Wohnungen zu einer Verdrängung der Mittelschicht führen, gewährleistet das Farelhaus die soziale Nachhaltigkeit und somit eine gesunde Durchmischung der Bewohner. Das Farelhaus bleibt ein Ort an dem Menschen aus verschiedenen Gründen und Gesellschaftsschichten zusammenkommen und bietet hohe Aufenthaltsqualitäten in diversen Räumen.

Homogene Architektur

Europaallee

Die Architektur der Europaallee wird seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Es waren viele renommierte Architekten am Werk und sie alle vermitteln mit ihrer Architektur eine ähnliche Sprache. 

Hannes Homberger

Eine Strassenflucht, viele Raster, wenig Leben. Mit dieser einfachen Charakterisierung wird die Europaallee von allen möglichen Seiten kritisiert: die Allee gleicht einem Durchschuss mit wenigen Nischen, Plätzen oder Aufenthaltsbereichen. Menschen bewegen sich einer Masse gleich rapide aufgrund der Nähe des Bahnhofs, die flankierenden Fassaden ragen empor und wirken befremdend, als würde man beobachtet.Doch was steckt hinter dieser Kritik und woher kommt diese Architektur?

Die NZZ schreibt kurz nach der Fertigstellung der ersten Gebäude, dass die Europaallee gesichtslos sei und dem Ort keine Identität gebe. Es dominierten überall homogene Fassaden, diese seien nicht lesbar und man wisse nicht was sich dahinter befindet. (NZZ, Quartier ohne Gesicht, 12.10.2016) Tatsächlich spielt der architektonische Ausdruck der Fassaden eine grosse Rolle, damit sich Menschen mit der Architektur identifizieren können. Nur wenn das der Fall ist, steigert sich die Aufenthaltsqualität in diesem neuen Quartier.

Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Baufelder fällt auf, dass Themen wie die private und öffentliche Adressierung, Rücksprünge in der Volumetrie und die Fügung der Fassade durchaus stark bearbeitet wurden und auch gelangen. Beispielsweise beim Projekt von Caruso St John Architects, welches direkt am Gustav-Gull Platz steht und den Übergang von der Lagerstrasse zur Europaallee bildet. Dort wurde nach der Kritik an den ersten Bauten der Europaallee mehr Wert auf die Gestaltung der Fassade gelegt, nicht zuletzt von der Bauherrin SBB. (Hochparterre, Eine Fassade mit Facetten, 01.04.2014)

Geist von Zürich 

Zeitgenössische Architektur ist oftmals von einer klaren Formensprache und dem Einsatz natürlichen Materialien geprägt. Die Fassaden werden nach den Geschossen gerastert, um den Baukörper zu strukturieren, dabei geht der Massstab zum Mensch schnell verloren. Die Gebäude bringen durch ihre Starrheit die notwendige Kommunikation im Aussenraum nicht zustande und zerren somit an der Aufenthaltsqualität der angrenzenden nicht-bebauten Flächen.

Als ein gelungenes Fassadenkonzept erachtet die Bauherrin SBB unter anderem ein Spiel mit dem Raster, diverse Fensterformate, sich überlagernde Elemente oder das Variieren von rauen und glatten Materialien. Vereinfacht gesagt wird die Abweichung eines stringenten Systems als interessant erachtet.

In den Juryberichten wird die städtebauliche Setzung am stärksten thematisiert, gefolgt vom architektonischen Ausdruck und der Funktionalität. Es macht den Eindruck, als möchte man ein Vorzeige-Ensemble zeitgenössischer Architektur mit anerkannten Architekten schaffen. Der menschliche Massstab oder der Bezug der Gebäude-Komplexe zur gesamten Europaallee werden selten zum Thema.

Beim Betrachten dieser stummen Fassaden wird eine Art erzwungene Fassaden-Tektonik erkennbar, und der damit verbundene Bauprozess beginnt zu interessieren.

Die Kunst des Fügens 

Durch das Fügen von Bauteilen entsteht Tektonik. Dies entsteht auch an einer Fassade, die aus einzelnen Elementen zusammengesetzt wird. Diese Fassaden-Tektonik muss nicht zwingend mit der eigentlichen Konstruktion des Gebäudes übereinstimmen. Gottfried Semper definierte den Begriff Tektonik als „Die Kunst des Zusammenfügens starrer, stabförmig gestalteter Teile zu einem in sich unverrückbaren System“ (Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, 1860). Ein System baut schnell einen Bezug zum menschlichen Massstab auf, da es auf kleinteiligen Elementen basiert, während in einer voll verglasten Fassade keine Tektonik ablesbar ist.

Am besagten Wohn- und Geschäftsgebäude beim Gustav-Gull Platz  lässt sich das Fügen auf verschiedenen Ebenen ablesen. Ein Gebäude, das sich nicht nur städtebaulich sorgfältig einordnet, sondern auch im Bezug auf den architektonischen Ausdruck gefügt wurde. Ein übergeordnetes System ist ablesbar – auch wieder ein Raster, doch hier ist es soweit aufgelöst, dass ein Dialog mit dem Aussenraum zustande kommt.

Baufeld E – Caruso St John, Quelle: http://www.carusostjohn.com

Die Architekten vermieden sichtbare Fugen und liessen die einzelnen vorgefertigten Betonelemente überlappen. Es entsteht eine Tiefenstaffelung in der Fassade mit präzis durchdachten Übergängen von Wand, Fenster und Sturz. Aufgrund der massiv wirkenden Betonelemente wird eine Tektonik des Lastabtrags in der Fassade erzeugt. Der Laie glaubt, die Fensterstürze würden jeweils auf den Pfeilern aufliegen, und durch die unterschiedliche Oberflächenbehandlung wird das Ganze nochmals stärker akzentuiert. Das ist eine gewollte Illusion, die dem Menschen den nötigen Massstab und eine Lesart des Gebäudes vermittelt und der Europaallee ein Stück Identität gibt. Die Fassade kommuniziert so mit dem Beobachter, doch sie offenbart nicht alle Hintergründe.

Teure Natursteinfugen

Von Deutschland über China nach Zürich: Das ist der Transportweg, den die Fassaden vom Baufeld F, dem Gebäude von Boltshauser Architekten zwischen dem Gustav-Gull Platz und den Geleisen, zurückgelegt haben. Von einem deutschen Steinbruch und Storenbauer wurden die Elemente nach Shenyang, einer Metropole im Norden Chinas geliefert, dort zusammengebaut und als fertig montierbare Fassadenelemente in die Europaallee gebracht. Die SBB hat eine 3500 Tonnen schwere unökologische Entscheidung getroffen, um etwa 5 Millionen Franken zu sparen. Ebenfalls hat sie den Auftrag nicht einer Schweizer Firma vergeben, was nachträglich stark kritisiert wurde.

Man könnte jetzt die bauliche mit der räumlichen Entfremdung der Europaallee in Verbindung bringen und behaupten, das Quartier passe nicht an den Ort. Doch ob die Fassade nun in China oder in Zürich gefertigt wurde, macht für den architektonischen Ausdruck keinen Unterschied. Ebenfalls spielt die Nachhaltigkeit in unserer Zeit eine grosse Rolle, der Verein SGNI (Schweizer Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft) hat dem Projekt ein provisorisches Zertifikat erteilt und bestätigt, dass die Fassade trotz dem weiten Transport den vorgegebenen Kriterien entspreche und sich die Ökobilanz mit einer herkömmlichen in der Schweiz hergestellten Fassade vergleichen lasse. Wie ein solches Zertifikat zustande kommt bei so viel grauer Energie bleibt trotzdem fraglich.

Die Europaallee war von Anfang an ein sehr komplexes Bauvorhaben und stiess auf wenig Akzeptanz. Alleine für den Städtebau wurde sehr viel Zeit investiert, der prominente Standort und die vielen Einflüsse von diversen Instanzen liessen der Architektur kaum Freiraum.

Aufgrund dessen ist ein gewisser Grad an Homogenität der Architekturen unumgänglich. Im Nachhinein kann man sagen, dass die Fassaden Tektonik bereits in einem früheren Stadium der Projekte, wie das beim Gebäude von Caruso St John der Fall war, kritisch hinterfragt und bearbeitet werden müssen.